SPD-Themenabend: Macht Pflege arm? (9/2017) aus Onetz

Bei der vom SPD-Ortsverband Poppenricht-Traßlberg organisierten Podiumsdiskussion lautete das Fazit: Gute Pflege funktioniert nur, wenn es auch den Angehörigen gut geht. Die fünf Referenten widmeten sich bei dem Themenabend im Gasthof Kopf in Altmannshof in acht Minuten je einer Fragestellung rund um die Pflege. Anschließend stellten sie sich den Anliegen des Publikums in einer Podiumsdiskussion, die wegen des persönlichen Themas zuweilen sehr emotional verlief.

"Wir alle können auf dem Weg nach Hause einen Unfall haben und müssen gepflegt werden", brachte es Thomas Beyer, der Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, auf den Punkt. Eine unangenehme Vorstellung, die man oft verdrängt. Ein Pflegefall in der Familie stellt jedoch alle Beteiligten vor eine extreme Belastung.

Macht Pflege arm?

Thomas Beyer, AWO-Landesvorsitzender und Professor für Recht in der sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Nürnberg, wies darauf hin, dass eine steigende Zahl von Betroffenen Sozialhilfe für Unterkunft und Verpflegung ihrer Angehörigen beantragen müsse. Günther Koller, Geschäftsführer der Caritas Amberg-Sulzbach bestätigte dies für die Region. Mittlerweile sei ein Drittel der Personen in stationärer Pflege in den von ihm verwalteten Einrichtungen auf den staatlichen Zuschuss angewiesen. Obwohl drei Viertel der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt würden, sei eine Lohnersatzleistung wie das Elterngeld "in der Pflege bisher eine Utopie", sagte Beyer. Außerdem übernähmen oft Frauen die häusliche Pflege. Da diese häufiger in Teilzeit arbeiteten, wirke sich diese Ungleichheit bei den Geschlechtern doppelt negativ auf die Rente von weiblichen Angehörigen aus. Die drei Pflegestärkungsgesetze seit dem Jahre 2015 hätten deutliche Verbesserungen in der ambulanten Pflege gebracht. Allerdings könnten sich die Reformen im Einzelfall negativ auf stationär Pflegebedürftige mit niedrigem Pflegegrad auswirken.

Macht Pflege krank?

"Pflege ist eine extrem belastende Situation für die Angehörigen", schilderte Thomas Bär, stellvertretender Leiter der AOK Amberg. Beispielsweise klagten 61 Prozent der pflegenden Angehörigen selbst über Schwäche und Krankheitsgefühl. Bär stellte verschiedene Leistungen einer Pflegekasse für Angehörige vor, etwa Pflegekurse. Besonders empfahl er im akuten Pflegefall aber persönliche Beratungsgespräche.

Wie wird eingestuft?

Über die Herausforderungen der Einstufung referierte Robert Gerl, Teamleiter beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) in Regensburg. Dessen Gutachter besuchen die Betroffenen und weisen ihnen einen von fünf Pflegegraden zu. Dafür habe ein MDK-Mitarbeiter etwa eine Stunde pro Besuch Zeit. "Hier sind wir natürlich auf die Informationen der Angehörigen angewiesen", erklärte Gerl. Er riet den Betroffenen deswegen, sich gut vorzubereiten und Notizen über Beschwerden und Vorfälle zu machen. Wichtigster Faktor sei, inwieweit die Person noch selbstständig sei oder persönliche Hilfe benötige. Zudem könnten Angehörige mit einem Widerspruch eine erneute Begutachtung einfordern.

Was sagt die Pflegeeinrichtung?

Als prinzipiell richtig bezeichnete Caritas-Geschäftsführer Günther Koller die gesetzlichen Reformen. "Die Pflege ist jedoch nach wie vor unterfinanziert", erklärte er. Gerade im ländlichen Raum seien Formen zwischen der ambulanten und stationären Pflege wie die Tagespflege oder das betreute Wohnen eine Seltenheit. Auch mehrere Zuhörer beklagten, dass Pflegeheime im Raum Amberg kaum Betten zur Verfügung stellten, um Bedürftige kurzzeitig unterzubringen. Dies sei mit den wirtschaftlichen Zwängen der Einrichtungen zu erklären: "Die Heime benötigen ein Auslastung von 97 Prozent, um auf die schwarze Null zu kommen", sagte Koller. Auch die finanzielle Belastung der Angehörigen bewertete er kritisch: "Die Eigenanteile sind zu hoch." Gleichzeitig betonte er: "Kein Heim kann die Preise willkürlich erhöhen." Vielmehr seien die Tagessätze das Ergebnis harter Verhandlungen mit dem Kassenverband Bayern und dem Regierungsbezirk Oberpfalz.

Was brauchen Angehörige?

Kornelia Schmid, die seit 23 Jahren ihren Mann zu Hause pflegt, beschrieb die psychische Belastung und die vielen widersprüchlichen Gefühle in einer solchen Ausnahmesituation: "Wir trösten, obwohl wir selbst getröstet werden müssen. Wir funktionieren und funktionieren und funktionieren." Obwohl die Mehrheit der Betroffenen in den eigenen vier Wänden versorgt werde, sei die ambulante Pflege in der öffentlichen Debatte nicht präsent. Denn das Thema sei unangenehm und werde verdrängt. Seit 2013 setzt sich Schmid ehrenamtlich für pflegende Angehörige ein und hat dafür einen gleichnamigen Verein gegründet.